Analoge Verbundenheit digital vermittelt
Können Informations- und Kommunikationstechnologien innige Sorgebeziehungen in Familien erhalten, die durch (Zwangs-)Migration auf der ganzen Welt verstreut leben? Welche Rolle Neue Medien dabei spielen und wie sie die Beziehungen transformieren, erkundet die Sozialanthropologin Monika Palmberger in Wien.
Jeden Morgen bekommt der 24-jährige Rasheed in Wien eine Whatsapp-Nachricht von seiner Mutter, die aktuell im Libanon lebt. Seit er 2015 nach seiner Flucht aus Syrien in Österreich angekommen ist, wählt seine Mama jeden Morgen ein Bild mit Blumen aus und schreibt ein paar Worte dazu, die sie in der gemeinsamen Gruppe auch an Rasheeds Geschwister schickt. Sein Bruder lebt in Dubai, die beiden Schwestern aktuell in der Türkei. Eine will demnächst heiraten, die andere hat vor drei Monaten ein Baby bekommen. Alle vier Geschwister antworten, und so beginnen diese fünf Mitglieder einer Familie ihren Tag.
„Doing Family“ heißt das in der Fachwelt. In ihrem Projekt REFUGEeICT widmet sich Monika Palmberger an der Universität Wien der Frage, wie neue technische Möglichkeiten Familien zusammenhalten können, wie sie beitragen Beziehungen aufzubauen und zu pflegen, um sich an einem neuen Ort zurechtzufinden.
Vom Subjekt zur Forschungspartnerschaft
Die Projektleiterin beschäftigt sich seit vielen Jahren, einige davon in Bosnien und Herzegowina, mit erzwungener Migration und Arbeitsmigration, Generationen und Erinnerung.
2015 stand das Thema Flucht im Gefolge des Kriegs in Syrien und des Arabischen Frühlings in Wien direkt vor der Universitätstüre. „Das medial vermittelte Bild von Geflüchteten als rein passive Hilfsempfänger*innen stört mich. Es scheint, als würde man lebenslang als Flüchtling identifiziert werden. Meine Forschung trägt zu einem differenzierten Bild bei, das Geflüchtete in aktiven Fürsorgebeziehungen mit ihrer Umgebung und den über die Welt verstreuten Angehörigen zeigt“, erklärt Palmberger.
Unterstützt vom Wissenschaftsfonds FWF hat Palmberger mit einem digitalen Tagebuch einen passenden Weg entwickelt, um bewährte ethnografische Methoden auf Informations- und Kommunikationstechnologien anzuwenden, im Sinne einer digitalen Ethnografie.
Ko-Präsenz und synchrone Kommunikation
Dass Informations- und Kommunikationstechnologien tatsächlich zum Fürsorge-Medium – „Media of Care“ – werden, ist die zentrale Erkenntnis von Monika Palmbergers Forschung bisher: „Sie ermöglichen Ko-Präsenz und synchrone Kommunikation, trotz geografisch getrennter Orte in einem Raum. Online- und Offline-Aktivitäten sind stärker verflochten, das Hier und Jetzt ist multilokal.“ Die Technologien verändern teilweise die Rollenaufteilung in den Familien, sorgen für Konflikte, helfen aber auch, sich zurechtzufinden und eine fremde Sprache zu erobern.
